Sendung im Slowakischen Rundfunk, Januar 2020

Marian Hatala in einer Sendung des Slowakischen Rundfunks über den Schweizer Lyriker.

Das Skript kann entweder in Originalsprache (in Slowakisch) oder in deutscher Sprache (übersetzt von Vladislav Jaros) heruntergeladen werden.

 

Vernissage "Nur schnell das Glück streicheln"

La Cappella Bern, 8. 5. 2017

Einführung Verena Stettler, Edition 8

Liebe Anwesende

Im Namen der Edition 8 begrüsse ich Sie herzlich zur Vernissage von Erwin Messmers neustem Gedichtband Nur schnell das Glück streicheln. Schön, dass Sie den Weg hierher gefunden haben, wohl weil Sie den Autor kennen, vermute ich, oder Lyrik lieben. Oder sind Sie gar auf der Suche nach Glück, wie der Titel suggeriert? 

Was ist Glück? Die Frage ist uralt, damit hat sich schon die Philosophie der Antike befasst und verschiedene Antworten für eine Lebenskunst gefunden, die wohl heute nicht auf Anhieb gelikt würde, da sie auch mit dem wenig populären Begriff „Tugend“ operiert. Wenden wir uns doch dem Hier und Heute zu. Als in der Schweiz Wohnhafte müssten wir eigentlich wahre ExpertInnen auf dem Gebiet sein: Unser Land zählt laut World Happiness Report zu den glücklichsten auf der Erde. Und wenn man heutige Menschen nach ihren Glücksvorstellungen befragt – wie das unlängst der Tages-Anzeiger in einer längeren Reihe von Interviews mit Prominenten gemacht hat –, dann erhält man erstaunlich ähnliche Aussagen: Das Glück sei zu finden, wenn man es nicht suche, wenn man sich nicht daran klammere, in unerwarteten Momenten … Allen gemeinsam ist das Bild von etwas Kostbarem, aber sehr Flüchtigem, etwas Erstrebenswertem, das aber eigentlich nicht erstrebt werden kann. Etwas, das uns ohne eigenes Zutun als Geschenk zufällt, eben zu-fällig, auf dessen Dauer wir aber nicht setzen können. Ein ersehnter Moment, zu dem wir selbstverständlich beim Klassiker Goethe das passende Zitat finden: „Verweile doch, du bist so schön!“

Erwin Messmers Buchtitel Nur schnell das Glück streicheln nimmt diese Flüchtigkeit auf: Zeit nehmen darf man sich nicht, es scheint schnell gehen zu müssen, wenn man so etwas wie dem Glück ein bisschen Raum gibt, denn eigentlich ruft der Ernst des Lebens, die Pflicht, der Terminkalender. Nur: Aus Erfahrung wissen wir, dass sich, was wir unter dem Motto „Nur schnell noch“ planen, oft in die Länge zieht, da es uns mit seiner Eigendynamik festhält. Auf das Glück bezogen heisst das, dass wir uns mit seiner Kurzlebigkeit nicht wirklich abfinden. Das Wörtchen “schnell“ können wir daher nicht nur als Ausdruck der Hast lesen, sondern als eine Art Ausrede dafür, dass wir uns mitten in der Alltagsroutine auf den Glücksmoment einlassen. Handelt es sich vielleicht um eine Doppelbotschaft? Das bleibt offen. 

Irritierend ist der Titel aber vor allem aus einem andern Grund: Das Glück streicheln, wie soll das gehen? Dieses Glück scheint ja nicht ein Gefühl, sondern etwas sehr Handfestes zu sein: ein Haustier etwa, etwas mit Fell, das lieb schaut. Und vielleicht bezwecken die Zärtlichkeiten, dass es zutraulich wird, sich füttern lässt und bei uns bleibt, nicht gleich wieder abhaut. Ein Bild, das sich in seiner Konkretheit reibt am abstrakten Wort, dem abgehobenen und sogar etwas vagen Begriff „Glück“ – und es trägt eine gewisse Komik in sich, die von Erwin Messmer bewusst eingesetzt wird. Das hintergründige Lächeln ist ja ein Markenzeichen dieses Autors. 

Spüren wir diesem Streicheln etwas weiter nach, birgt es eine zusätzlich Überraschung.
Die Hirnforschung – und um die kommt man heutzutage nicht herum – lehrt uns, dass jedes Gefühl biologische Grundlagen hat, dass Botenstoffe wie etwa Serotonin unser Glücksempfinden steuern. Dieses wird stimuliert, wenn elementare Grundbedürfnisse,  z. B. die nach Nahrung, Geborgenheit, Sexualität gestillt werden. Und offenbar lässt sich messbar nachweisen, dass freundschaftlicher Körperkontakt wie Berühren oder Streicheln ein wichtiges Mittel ist, um Wohlbefinden herzustellen – auf beiden Seiten, beim Streichelnden und beim Gestreichelten. Mit andern Worten: Streicheln ist selber schon Glück, der Titel ist eigentlich tautologisch: Das Glück zu streicheln, erzeugt wieder Glück, das wieder gestreichelt wird, was wieder Glück erzeugt: eine Art Perpetuum mobile. Es fehlt nur das märchenhafte Ende: „Und wenn sie nicht gestorben sind, streicheln sie glücklich noch heute …“ 

Ganz schön raffiniert. Doch keine Angst. Das Buch driftet nicht in Glückseligkeit ab, Erwin Messmers Welt ist alles andere als eine Torte mit pastellfarbenem Zuckerguss. Das zeigt sich bereits in der leichten Absurdität des Titels, wo Konkretes mit Abstraktem kollidiert, aber auch im Material, das er bevorzugt verwendet. Seine Lyrik gründet in genauer Beobachtung des Alltags, spürt manchmal sogar scheinbar Banalem nach. Da findet auch die Zahnbürste ihren Platz, die Kaffeemaschine schnorchelt, der Briefträger läutet und der Kontrolleur verteilt Bussen im Tram. 

Und selbstverständlich entgehen dem Beobachter nicht die Spuren des Verfalls bei Dingen, bei Menschen, in der Natur: all das Vergilben und Welken, das ölgetränkte Uralt-Radio in der Küche, die Leberwerte beim Gesundheitscheck und die Schwerhörigkeit beim Verwandtentreffen, der schmerzliche Verlust von Freunden ... Immer wieder werden wir in Erwin Messmers Gedichten mit Vergänglichkeit und Tod konfrontiert, das ernste Thema bildet eine Art von melancholischem Fundament für sie und wirkt aus dem Untergrund in die Glückssuche hinein. Ich zitiere in diesem Zusammenhang das schöne Haiku zum Herbst: „Im kahlen Geäst / golden besonnt die Äpfel / Vorweihnachtskugeln“.

Vor so einem dunklen Hintergrund erhält der scheinbar leichte Titel eine andere Dimension und offenbart sich als existenziell und tiefsinnig: Tatsächlich geht es darum, angesichts des Todes und innerhalb einer grundsätzlich vergänglichen Welt das Leben auszukosten, seine Schönheit zu erkennen, sich ihm hinzugeben. Die Suche nach dem Glück geht an die Wurzeln unseres Daseins, ist ein Zeichen von Lebenshunger.

Sie werden während der folgenden Lesung ein reiches Spektrum von leuchtenden Momenten erkennen können, die verschiedenste Situationen und alle Sinne betreffen. Wenn wir uns also fragen: Wo findet der Autor – oder besser: das lyrische Ich – sein Glück?, gibt es mehr als eine Antwort. Auf eine mögliche Quelle möchte ich trotzdem zu sprechen kommen: die Musik. Wie Sie bestimmt wissen, ist Erwin Messmer nicht nur Literat, sondern von Beruf Musiker, er hat bis zu seiner Pensionierung hier in Bern als Organist gewirkt und Konzerte im In- und Ausland gegeben. Da muss doch die Welt der Töne einfach eine besondere Rolle spielen. Tut sie auch, allerdings – typisch für den Autor – nicht ungebrochen und mit einer guten Portion Humor durchwirkt: Das Blockflötenspiel zum Beispiel, das den Achtjährigen in die Schönheit eines Mozart’schen Menuetts einführt, wird in der Rückblende als „blökend“ und „verstimmt“ charakterisiert, oder in einem andern Gedicht entweicht den Kehlen des Kirchenchors nicht nur himmlischer Gesang, sondern auch profaner, allzuirdischer Mundgeruch. Was den transzendenten Wert der Musik aber keineswegs mindert. 

Nun, zum Schluss: Wenn Sie, wie ich am Anfang andeutete, vielleicht hier sind, um etwas Glück zu finden, dann liegen Sie sicher nicht falsch. Für mich persönlich ist die Auseinandersetzung mit Erwin Messmers Lyrik sehr anregend und birgt viel Genuss. In deren Lektüre finde ich eigentlich, unabhängig vom gewählten Inhalt, bereits eine Art von Glück. Denn wer sich auf den Dialog mit seinen Gedichten einlässt, wird belohnt mit einer Fülle von Entdeckungen: Widerborstigkeit und Tiefsinn, Heiterkeit und Irritation. Und viel Humor. Lustvoll präzis lotet der Autor Wortfelder aus, spielt mit Sinn und Hintersinn: Wie subtil und facettenreich er Sprache einsetzt, habe ich am Titel dieses Buches zu zeigen versucht. Darum freue ich mich, jetzt Erwin Messmer das Wort zu überlassen.

Vernissage "Klartext zum Wasserglas"

Einführung von
Beatrice Eichmann-Leutenegger

Liebe Gäste, lieber Erwin Messmer, 

An diesem Abend, da Sie einiges über den Gedichtband „Klartext zum Wasserglas“ erfahren werden, möchte auch ich Klartext sprechen: Erwin Messmer ist ein Tausendsassa. Er ist Musiker durch und durch, Organist und Lehrer, dazu unermüdlicher Veranstalter der Bümplizer Orgelserenaden, die er in diesem Winter zum 25. Mal durchgeführt hat – unvergesslich Christopher Herrick mit seinem Schlussstück „Power of life“. Er ist ferner als einstiger Bodenseebub Schwimmer und überdies ein ideenreicher Koch. Vor allem aber ist er Lyriker, der uns seit Jahren mit Gedichten in Hochdeutsch und St. Galler Mundart überrascht. 

Diese Gedichte tragen eine unverwechselbare Prägung, denn sie vereinen Witz mit Tiefsinn. Erwin Messmer erweist sich auch in seinem neuen Lyrikband als Spieler und Jongleur. Nicht dass ich den Autor mit solchen Etiketten zu den Zirkusleuten abdirigieren möchte! Nein, ein Spieler und Jongleur bewohnt auch in der Sprachlandschaft seinen Platz. Die Spielfreude zeigt sich im neuen Gedichtband an vielen Beispielen. So hält es Erwin Messmer etwa mit den Vögeln und beschert uns eine neue ornithologische Reihe zur Bestimmung der Vögel. Gut möglich, dass Sie den Ölzweigkurier, den Chorherrenleichtrock, den Übelüberbringer oder die Zeitungsente kennen, andere aber wie das Ärschleinrot oder der X-beliebigflügler müssten unbedingt der Vogelwarte Sempach gemeldet werden. Oder er stellt sich vor, wie ein Vogel, der nicht mehr fliegen kann, dennoch als Flugpassagier in die Luft abhebt und zuvor alle Kontrollen passiert. Dass Erwin Messmer nicht selten den Reim verwendet und als Musiker den Rhythmus bewusst und gekonnt einsetzt, erhöht den amüsanten Effekt. 

Ja, unumwunden gesagt: Man liest diese Gedichte gerne. Sie überraschen mit ihren Pointen, vor allem aber auch mit ihrer Sichtweise. Denn oft rücken alltägliche Dinge in den Vordergrund: ein unaufgeräumtes Pult, ein Mantel, ein Streichholz. Es ist die Welt der Stillleben, die uns hier entgegen tritt. Sie bedeutet Erwin Messmer viel, weil er den Subtext erkennt und ihn aufzuschlüsseln vermag. Denn hinter diesen Dingen lauert mehr, als sie auf den ersten Blick zu erkennen geben. Ihnen gewinnt Erwin Messmer das grosse Thema seines neuen Gedichtbands ab. Es ist das zarte, aber unaufschiebbare Gefühl für die Vergänglichkeit, für den Fluss der Zeit, in dem wir treiben. Eindringlich offenbart sich dieses Bewusstsein im Gedicht „Grussnote an meinen Mantel“. 

Robert Gernhardt hat in einem Vierzieler gesagt, wie ein gelungenes Gedicht beschaffen sein sollte: „Gut gefühlt / gut gefügt / gut gedacht / gut gemacht.“ Erwin Messmers Gedichte erfüllen diese Anforderungen. Uns Lesern wird eine überraschende Bandbreite geschenkt. Geistreiches Vergnügen und anregender Gedankenreichtum, Spass und Melancholie (aber heiter getarnt), dazu klug gesetzte Bilder strömen uns hier entgegen. Neben langen Gedichten stossen wir auch auf kurze wie dieses:

 

Im Erwachen
sieht der Morgen
das Auge der Nacht
brechen wir das Brot
an der Härte des Tags

 

Die Welthaltigkeit seiner Gedichte muss Erwin Messmer nicht aufdringlich beweisen. Auch wenn er den äusseren Rahmen oft eng und scheinbar privat fasst, lotet er unversehens Tiefen aus oder wagt Höhenflüge. Im Gedicht „Die Nachhilfestunde“ versucht ein Vater seiner Tochter den binomischen Lehrsatz zu erläutern. Sie unterbricht ihn immer wieder mit Fragen und Einwänden. Schliesslich aber ist er es, der jene Frage stellt, die sich nicht beantworten lässt: „was wissen wir schon/ über die Zahl Unendlich?“

An diesem Punkt, da die alltägliche Plauderei in die Transzendenz umschlägt, orten wir auch die Kühnheit des Autors. Er wagt den Schritt in eine unzeitgemässe Thematik. So schreibt er eine Paraphrase auf Psalm 98 („Nun singt dem Herrn ein neues Lied“), oder er wendet sich direkt an IHN:

 

Differenzbereinigung 

Der mit seinen
ewigen Ratschlüssen
und ich mit meiner
ewigen Sehnsucht 

Ich rede an ihm
und er schweigt an mir
vorbei

Schliesslich sage ich
Also gut
Dann hören wir eben
Mozart 

Weil er auch dazu schweigt
gehen unsere Differenzen
in Klang auf
Wenigstens für eine halbe Stunde
sind sie damit bereinigt

 

Ein Ich mit seiner „ewigen Sehnsucht“ redet hier zu uns; auch einer, der weiss, dass Musik über die Worte hinausreicht. Wir begegnen dem Glückssucher, dem lebenshungrigen Zeitgenossen, der um seine Endlichkeit weiss und um das Unwiederbringliche. Gerade vor dem dunklen Hintergrund der Hinfälligkeit leuchtet das Glück umso mehr, das wie ein federleichtes Sommerkleid daher flattert, aber im September bereits ausgemustert an der Leine hängt. Illusion und Desillusionierung spielen daher in den Gedichten eine Rolle – „Wunsch und Denken“ ist der erste Zyklus überschrieben, und wir hören daraus sofort das Wunschdenken. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht auch das Motto von Gottfried Benn, das der Autor seinem Gedichtband vorangesetzt hat, doch will ich es nicht verraten, entdecken Sie es selbst.

Diese ernsthaften Überlegungen entfalten sich indessen ohne das Gewicht der Schwerkraft. Wahrscheinlich würde die musikalische Bezeichnung „allegretto animato“ die Stimmungslage treffen, und Mozart dürfte in gebührender Ferne Pate gestanden haben. Hugo von Hofmannsthal sprach einmal davon – und ich zitiere nicht wörtlich sondern sinngemäss - , dass sich die Tiefe an der Oberfläche verstecke. Daher ist bei Erwin Messmer die Oberfläche, das scheinbar Alltägliche, nie nur Oberfläche, sondern die Folie, hinter der sich eine wahre Flucht von Räumen öffnet. Und hier erst wird „Klartext zum Wasserglas“ gesprochen.

Lieber Erwin Messmer, wir wünschen Dir  Christopher Herricks  „power of life“, damit Du uns weiterhin mit Deinen Gedichten das nahebringen kannst, was Du „die erträgliche Vielleichtigkeit des Seins“ genannt hast.

weitere Stimmen

Die Sprache ist konkret, unangestrent, die Stoffbehandlung behende und der Inhalt pfiffig und welthaltig.
Hans-Jürgen Heise
(über den Gedichtband „Das Gelächter der Fahrräder“)

Und dann ist da auch noch die heitere Seite Erwin Messmers, die verschmitzte, augenzwinkernde. Erst sie macht den messmer’schen Ton einmalig und unverwechselbar.
Es sind starke, lustvolle, sinnliche Texte, die Erwin Messmer in seinem neuen orte-Band versammelt.
Brigitte Fuchs
(über den Gedichtband „Anleitung zum Brettspiel“)

Am meisten fällt mir an seinen Gedichten auf, dass sie mich alle an einer Stelle oder an mehreren einfach erschrecken oder aufschrecken. „Überraschen“ wäre zu schwach gesagt. „Furchtbares Erstaunen“ wäre vielleicht das Treffendste (...). Als ich das Buch zum ersten Mal las, hatte ich mich fast wie süchtig auf diese Stellen zugelesen und dann „Aah, da ist sie wieder!“ gerufen (...) Anders gesagt: Er beschreibt in knappen Strichen: einen Menschen, eine Szene, eine Landschaft, und dann gleitet von hinten oder von der Seite plötzlich ein unerwarteter Gedanke, eine Formulierung herein, die einen entweder erfreut oder aufschreckt oder überrascht, oder die das vorher Gesagte in eine neue Perspektive rückt.
Fritz Widmer
(über den Gedichtband „Die besseren Karten)

Lieber Erwin
Soll ich Dir 7 schöne Gedichte aufschreiben:
Wunder
Schadenbilanz
Abnehmender Mond
Tempo rubato
Klimaerwärmung
Über das Glück
der Atem
Franz Hohler
(über den Gedichtband „Die besseren Karten“)